Sechseinhalbtausend Stufen und dazwischen jede Menge ansteigende Wege. Die Strecke hinauf dauert mit den nötigen Pausen zum Fotografieren und Verschnaufen etwa fünf Stunden, und schlecht beraten ist, wer einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen möchte. Die Luftfeuchtigkeit und die Wärme belasten den Kreislauf. Hinunter dauert es drei bis vier kniezermürbende Stunden, so dass der Tag gut gefüllt ist. Abends auf dem Weg hinunter sitzen auch die Händler von Wasser, Cola, Obst und allerlei Chinanippes müde vor ihren Ständen. Das Sprühwasser, das Obst und die Gurken frisch halten soll, ist abgeschaltet. Die Händler gehen nicht den Berg hinauf, ihre Tagesleistung besteht darin, sechseinhalbtausend Mal ihre Waren anzupreisen. Minimum. Auf dem Gipfel ist niemand allein, denn hier befindet sich erstens eine große Tempelanlage und zweitens eine noch größere Touristenmaschinerie mit kleinen Hotels, Restaurants und natürlich Andenkenläden. Ganz oben gibt es eine Sendestation, fast jeder nutzt die Chance, die Verwandten anzurufen und mit der Besteigung zu prahlen. Fast jeder tut das in einer Lautstärke, die das Mobiltelefon unnütz erscheinen lässt. In den Reiseführern steht geschrieben, die Bergwanderer sollen sich möglichst früh an die Besteigung des Taishan wagen. Doch es geht auch später. Selbst beim Abstieg am späten Nachmittag kommen uns noch Wanderer entgegen, die heute hinauf und wieder hinab wollen. Mit Taschenlampe ist dies zwar möglich, ratsam erscheint es nicht. Wer will, kann übrigens bis zur Mittelstation mit dem Bus fahren und dann eine Kabinenbahn nach oben nehmen. Oder rückwärts den Bus ab der Mittelstation nach unten nehmen. Doch er würde das Lachen und das fröhliche Gekeuche der vielen chinesischen Touristen verpassen und das Gemeinschaftsgefühl, das sich unter den Steigenden einstellt. Und die landschaftlichen Eindrücke unterwegs sowieso. Diesen heiligen Berg sollte man sich Meter für Meter 1534 Mal erkämpfen. Der Lohn ist ein toller Tag mit Ausblicken und Begegnungen. Nachtrag. Zwei Tage später kommt der Autor dieser Zeilen immer noch kaum aus dem Bett. Ein heftiger Muskelkater sowohl in den Ober- als auch in den Unterschenkeln lässt ihn bei jeder Bewegung aufstöhnen. Nein, kein Muskelkater, sondern ein Muskellöwe, ein ausgewachsenes Raubtier, das ihm bei jedem Schritt mit Hunger in die Waden beisst. Leben ist Leiden, sagt Buddha. Nun wird deutlich, was er meint.
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